Freitag, 17. Oktober 2025
Heldswil. Guido Stutz, Lokalhistoriker aus Leidenschaft, hat nach Schönenberg und Kradolf nun seine dritte Studie veröffentlich: «Heldswil vom Mittelalter bis zum Ende der Ortsgemeinde», wiederum ein reich illustriertes und thematisch vielfältiges Mosaik von Berichtens- und Wissenswertem.
Guido Stutz, der von 1965 bis 2002 in Kradolf und in Sulgen als Sekundarlehrer tätig war, hat sich in seinen Pensionsjahren in einen passionierten Lokalhistoriker verwandelt. Seine Leidenschaft für die Geschichte der Dörfer im Einzugsgebiet seiner ehemaligen Schülerinnen und Schüler und deren Familien sowie besonders für die Aufklärung individueller, bis in die Gegenwart hineinreichender Lebensschicksale hat schon zweimal bunte und sprachlich leichtbekömmlich zubereitete literarische Früchte gebracht: nämlich 2020 das Buch «Schönenberg in Geschichte und Gegenwart» und 2022 das Werk mit dem Titel «Kradolf in Geschichte und Geschichten». In diesem Sommer ist nun seine dritte lokalhistorische Studie dank der finanziellen Übernahme der Kosten für Layout, Korrektur und Druck durch die Politische Gemeinde Hohentannen erschienen und seit Kurzem auf der Gemeindekanzlei erwerbbar, nämlich «Heldswil vom Mittelalter bis zum Ende der Ortsgemeinde», wiederum ein reich illustriertes und thematisch vielfältiges Mosaik von Berichtens- und Wissenswertem aus der Plateaugemeinde mit Fokus auf der einstigen Ortsgemeinde Heldswil.
Zeitzeugen als Quellen
Da Guido Stutz keine wissenschaftlich-systematische Studie schreiben wollte, konnte er sich die Freiheit herausnehmen, die ältere Geschichte bloss mit wenigen Zügen zu skizzieren. Dies gerät der Darstellung sehr zum Vorteil, denn sie setzt nicht schwergewichtig auf die Wiedergabe schriftlicher und oft staubtrockener Quellen, sondern auf Berichte und auf farbige und lebendige Erzählungen von noch lebenden oder erst vor kurzem verstorbenen Zeitzeugen.
Die Arbeit von Guido Stutz hat zwei Schwerpunkte, die Infrastruktur und die Alltagsbewältigung durch die früheren Bewohner. Die Versorgung einer auf einem Plateau gelegenen dörflichen Gesellschaft mit Frischwasser – um eine infrastrukturelle Besonderheit herauszustreichen – machte es nötig, die reichen Wassergründe auf halber Höhe in der Kistenmühle auf die Hochebene hinaufzuheben, was über lange Jahre hinweg mit einem technischen Wunder ganz ohne Zufuhr von Strom oder einer anderen technischen Energie einfach unter Ausnutzung der Schwerkraft des Wassers bewerkstelligt wurde. Die Funktionsweise eines solchen sogenannten «hydraulischen Widders» veranschaulicht der Verfasser mit einer Skizze.
Ein besonderes Augenmerk wirft der einer Bauernfamilie entstammende Autor auf die Landwirtschaft, namentlich auf die Prävention und Bekämpfung von Haus- und Scheunenbränden als einem äusserst gefürchteten Schadenereignis. «Es soll niemand Feuer aus einem Haus in ein anderes tragen, ausser in einem Eimer oder eisernen Geschirr», ist in einem alten Gemeindegesetz als Vorbeugemassnahme festgehalten.
Zu den ersten «Gemeindeangestellten» gehört denn auch ein besoldeter Nachtwächter und Feuermelder. Trotz technisch massiv verbesserter Ausstattung der Feuerwehr erlitt Heldswil vom 19. bis ins 21. Jahrhundert mehrere verheerende Hofbrände.
Im 20. Jahrhundert entwickelten sich im bäuerlich geprägten Heldswil aus Hufschmitten und Bauerngütern mechanische Werkstätten. 1923 z.B. errichtete Josef Sauter in Heldswil eine mechanische Werkstätte, die 1955/56 wegen notwendiger Vergrösserung der Produktionsstätte nach Sulgen umsiedelte und heute als renommierte Belimed AG und Teil der Metall-Zug-Gruppe firmiert. Eine andere bedeutende Firma, die Schenk AG, heute mit einer Belegschaft von mehr als 80 Mitarbeitern europaweit als Spezialfirma für Horizontalbohrungen tätig, geht auf Ernst Schenk zurück, der aus der Bewirtschaftung seines Bauernbetriebes ausstieg und Tiefbauarbeiten ausführte.
Lokale Persönlichkeiten
Bei den Porträts von Persönlichkeiten mit öffentlichen Aufgaben oder mit über die Region hinausgreifenden Wirkungsfeldern erstreckt sich der Zeithorizont bis in die unmittelbare Gegenwart hinein. Diese Lebensbilder – z.B. von Beatrice Hauser, die zum ersten weiblichen Militärtrompeter-Feldweibel avancierte, oder von Doris Ehrbar, die Hochschuldozentin geworden ist, oder von Stefan Wehrli, der kürzlich in der NZZ als weltweit renommierter Spezialist für den Hufbeschlag von Spitzenrennpferden porträtiert worden ist – zeigen, dass das Aufwachsen in einem ländlichen Dorf dank den hervorragenden, flächendeckenden Bildungsmöglichkeiten in der Schweiz keineswegs ein Hindernis bei der Verfolgung beruflicher Karrieren darstellt.
Anrührende Schicksale
Wie ein roter Faden durchzieht eine oben als zweite bedeutende Besonderheit erwähnte Grundstruktur die Arbeit von Guido Stutz: Immer wieder widmet er sich der Schilderung von schönen zwischenmenschlichen Begegnungen, von menschlich anrührenden Alltagssorgen und Nöten und von Talenten, etwa von Schulkindern, die in kindlich-treuherzigem Ton in Gedichten ihre Anhänglichkeit an ihr Heimatdorf in reizvolle Reime zu giessen verstanden.
Besonders ergreifend finde ich die Darstellung der Melioration des Moores westlich des Westerwaldes durch polnische Internierte von 1941 bis 1943. Mitten in den dunklen Jahren des Zweiten Weltkrieges sorgten die jungen, schneidigen Männer für manch ein einheimisches Mädchen für freudige Begegnungen. Und obwohl die Anwesenheit von Fremden als zusätzlichen Essern in der Nähe einer von Kriegsängsten heimgesuchten Bevölkerung nicht immer konfliktfrei blieb, zeugen Briefe und Geschenke der Polen von einer insgesamt gelungenen interkulturellen Begegnung und von tiefer, rührender Dankbarkeit für die gewährte Gastfreundschaft. Die Arbeit lebt von vielen und vielfältigen Einblicken in den Alltag von Menschen, die vor langer Zeit oder in jüngster Vergangenheit in Heldswil lebten. Indem die Geschichte von Heldswil in der Erzählung von Guido Stutz Menschliches und Allzumenschliches spiegelt, berührt sie uns als später in den gleichen Lebensraum hinein Geborene und ähnlichen Zumutungen des Lebens Ausgesetzte unmittelbar und ist sie in meinen Augen wertvoll und bedeutend.
Mit Staunen und Bewunderung lässt die Lektüre auch Auswärtige zurück, die Heldswil (noch) nicht näher kennengelernt haben und die durch die vielen Bilder von schönen, stattlichen, gut erhaltenen (Riegel-)Häusern vielleicht zu einer beschaulichen Wanderung durch die Dörfer der Plateaugemeinde angespornt werden.
Daniel Weber
– «Heldswil vom Mittelalter bis zum Ende der Ortsgemeinde» von Guido Stutz, zu erwerben auf der Gemeindekanzlei Hohentannen für 20 Franken
