Freitag, 23. Dezember 2016
Während meiner Studienzeit sagte mir ein guter Kollege eines Tages, er werde sich jetzt von uns verabschieden und sich einer neuen kirchlichen Basisbewegung in München anschliessen. Er erhoffe sich dort neue Impulse für sein Glaubensleben. Und er erzählte weiter: Vor Weihnachten habe es in der Gemeinschaft einmal Streit gegeben, dann habe man Weihnachten eben ausgesetzt und erst gefeiert, als der Streit nach langen Gesprächen zwei Wochen später beigelegt werden konnte. Das habe ihm gefallen, da werde die Weihnachtsbotschaft noch ernst genommen. Die Weihnachtsbotschaft noch ernst genommen?
Ich habe dazu nichts gesagt. Ich hatte in dem Moment auch nichts dazu zu sagen und habe mich von ihm wehmütig verabschiedet. Der Gedanke, erst Weihnachten zu feiern, wenn alles in Ordnung ist, liess mich nicht los. Er schien mir verlockend zu sein. Leider, und das kam mir dann schnell in den Sinn, ist er falsch und sicher nicht biblisch. Wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, dann können weiss Gott nicht mehr viele Menschen am 24. Dezember Weihnachten feiern. Wo ist schon alles in Ordnung? Zu Hause, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Politik und was immer man noch hinzufügen könnte? Ja, müsste man in diesem weltpolitisch so schwierigen Jahr nicht auf der ganzen Welt eigentlich sagen: Die Welt ist keine Bühne für die Idylle der Weihnachtsbotschaft vom Kind in der Krippe. Lassen wir weltweit Weihnachten ausfallen!
Nein, wir spüren, so einfach ist die Wirklichkeit nicht gestrickt. Vieles lässt sich nicht so einfach bereinigen und in Ordnung bringen. Mit manch Dunklem und Schwierigem müssen wir leben. Viele Menschen leiden unter zerbrochenen Beziehungen, viele blicken sehnsüchtig zurück zu früheren Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung schien. Allein der Blick für die Wirklichkeit sagt uns, dass die Zeiten nicht wieder herzustellen sind. Nicht selten lehnen Menschen selbst gutgemeinte Versöhnungsangebote ab. Sie sind nicht mehr bereit, Vergangenes aufzuarbeiten und einen neuen Weg mitzugehen.
In der Weihnachtsbotschaft verkünden gemäss den Aufzeichnungen des Evangelisten Lukas die Engel den Hirten auf den Feldern: «Verherrlicht ist Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seiner Gnade» (Lk 2, 14).
«Friede auf Erden», das war nicht der politische Friede im Land Israel, an den auch damals schon niemand mehr richtig glaubte. Die Engel treten an die Menschen heran mit dem Friedensgruss. Sie wollen, dass diese Erde Frieden finden kann. Einen Frieden, der nicht einfach zu schaffen ist mit den Mitteln der Politik, sondern der auf die Einsicht und das Vertrauen eines jeden einzelnen Menschen in die unendliche Weite Gottes setzt, welche für uns Menschen in der Nacht von Bethlehem zu einer erfahrbaren Realität geworden ist.
Die Theologie bezeichnet die Menschwerdung als Inkarnation, als Fleischwerdung. Das bedeutet, dass die schöpferische Kraft Gottes unsere irdischen Befindlichkeiten durchdringt. Wir brauchen nicht alles selbst zu schaffen. Es kommt im Letzten nicht darauf an, was uns an Grenzen auferlegt ist, in welchem Umfang unser Bemühen um Frieden und Versöhnung von Erfolg gekrönt ist. Wichtig ist, dass wir den Weg des Friedens und der Versöhnung ein Leben lang gehen. Gott ist nicht mehr nur in jenseitigen Sphären zuhause, sondern mitten unter uns, in unserem Alltag, inmitten auch der Zerrissenheit unseres Alltags. Dieses Leben in einem grösseren Zusammenhang bezeichnet die Weihnachtsbotschaft als Frieden. Diesen Weg des Friedens sind wir eingeladen zu gehen. Diesen Vertrauensvorschuss Gottes dürfen wir annehmen als Geschenk, als Weihnachtsgeschenk.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachten!
Martin Kohlbrenner, Pfarrei St. Peter + Paul