Freitag, 3. Oktober 2025
AachThurLand. Die UN-Verhandlungen zu einem globalen Plastikabkommen in Genf sind vorerst gescheitert. Kathrin Wittgen, Biologin und Projektleiterin Umweltbildung bei Pro Natura Thurgau, warnt im Interview vor massiven Belastungen für Flüsse, Böden und den Bodensee – und fordert auch lokale Konsequenzen.
Die Blockade beim geplanten UN-Plastikabkommen hat weltweit für Enttäuschung gesorgt. Über 1000 Streitpunkte blieben ungelöst, vor allem erdölproduzierende Staaten blockierten verbindliche Einschränkungen. Die globale Blockade hat auch Auswirkungen im AachThurLand, wo Mikroplastik in Flüssen, Böden und Fischen längst Realität ist. Wir haben mit Kathrin Wittgen (37) gesprochen.
Frau Wittgen, haben Sie mit dem Scheitern der UN-Verhandlungen gerechnet?
Kathrin Wittgen: Ja, es war leider absehbar, dass erdölproduzierende Länder keinerlei Interesse daran zeigen, die Produktion einzuschränken. Plastik wird aus Erdöl hergestellt – man wollte das eigene Geschäftsmodell nicht infrage stellen. Selbst einer Reduzierung schädlicher Chemikalien stimmten sie nicht zu.
Was bedeutet dieser Stillstand global für die Bekämpfung der Plastikverschmutzung?
Er verschärft das Problem massiv. Grosse Plastikstücke sind schlimm für die Umwelt. Tiere verheddern sich darin oder halten sie für Nahrung, schlucken sie und ersticken daran – so auch im Bodensee. Doch wenn der Plastik in Mikroplastik zerfällt, ist er fast noch schlimmer.
Wie ist das zu verstehen?
Mikroplastik ist gefährlich, weil es unsichtbar in die Umwelt gelangt und nicht wieder eingesammelt werden kann.
Wie entsteht Mikroplastik?
Der Zerfall von Kunststoffen erfolgt durch äußere Einflüsse wie Sonneneinstrahlung, Temperaturschwankungen oder mechanische Belastung. Dabei werden Moleküle zerstört und Zusatzstoffe wie Weichmacher freigesetzt, die umweltschädlich und gesundheitlich bedenklich sind.
Spüren wir diese Folgen auch schon konkret im Thurgau?
Ja, und zwar deutlich. Im Jahr 2022 hat das Konsumentenmagazin K-Tipp in Thurgauer Flüssen viel Mikroplastik nachgewiesen. In Böden wurden teils über 118 000 Partikel pro Kilo Erde gefunden – Rekordwerte in der Schweiz. Auch eine Maturaarbeit zeigte: In 18 von 24 Bodenseefischen steckt Mikroplastik.
Welche lokalen Quellen sind besonders relevant?
Grosse Kunststoffoberflächen wie die Netze über Obstanlagen, Abrieb von Reifen und Bremsen oder synthetische Textilien beim Waschen. Die Fasern sind so klein, dass Kläranlagen sie nicht zurückhalten können – sie gelangen direkt in Thur und Bodensee.
Heisst das, internationale Blockaden schwächen auch die regionalen Bemühungen?
Natürlich. Wenn es keine verbindlichen Regeln gibt, werden sich die wenigsten Produzenten freiwillig einschränken. Bei Konsumentinnen und Konsumenten ist das Bewusstsein zwar grösser geworden, aber solange auch nur ein kleiner Teil unachtsam konsumiert, ist die Belastung enorm.
Wo landet unser Plastik eigentlich – zum Beispiel aus Bürglen, Erlen oder Sulgen?
PET wird gesammelt und recycelt, der Rest geht in die Verbrennung oder auf Deponien. Das System ist grundsätzlich gut organisiert. Aber viele Plastikarten lassen sich nicht wie PET recyceln oder nur mit hohem Energieaufwand. Deshalb ist die beste Lösung, Plastik zu vermeiden und Mehrwegsysteme zu fördern.
Was müsste der Thurgau konkret tun?
Wir brauchen strengere Vorgaben für Veranstaltungen, bessere Abwasserbehandlung, mehr Sammelaktionen – und härtere Strafen bei Littering. Es muss nicht nur um das Aufräumen gehen, sondern vor allem um Vermeidung.
Und die Politik?
Gemeinden und Kanton sind klar in der Pflicht. Sie könnten Mehrwegsysteme fördern, das Recycling in der Landwirtschaft vorantreiben oder Vorgaben für öffentliche Events einführen. Der Handlungsdruck darf jetzt nicht nachlassen.
Haben Sie trotz der Blockade in Genf noch Hoffnung auf ein globales Abkommen?
Ja. Es ist besser, dass es kein schwaches Abkommen gab, als ein verwässertes. So bleibt der Druck erhalten. Gleichzeitig wächst der Druck von unten: Wenn ich sehe, wie sich Menschen im Thurgau aktiv gegen Plastik engagieren, gibt mir das Hoffnung – auch wenn der Weg lang ist.
Interview: Benjamin Schmid