Freitag, 8. August 2025

Kradolf. An der Bundesfeier der Politischen Gemeinde Kradolf-Schönenberg machte sich Festredner Christian Lohr darüber Gedanken, was unternommen werden muss, damit die Schweiz nicht auseinanderbricht.

Das Festzelt vor der Mehrzweckhalle füllt sich am 1. August zunächst nur zögerlich, dann aber umso rasanter. Als der von Valeriya Bernikova dirigierte Musikverein Kradolf-Schönenberg die Feierstunde mit dem Marsch «Symbol of Honor» eröffnet, sind die Bankreihen dicht besetzt. Über den Köpfen der Leute hängen Fähnchen mit den Kantonswappen. Sie versprühen das Flair der jubilierenden Confoederatio Helvetica und laden dazu ein, die staatskundlichen Kenntnisse einer Prüfung zu unterziehen. Thurgau und St. Gallen sind kein Problem und Uri ist unverwechselbar, doch Ob- und Nidwalden erweisen sich als Knacknüsse.

Die Wahl des Festredners ist ein offiziell nicht deklarierter, aber Jahr für Jahr ausgetragener Wettstreit unter den Gemeinden. Denn: Je bekannter der eingeladene Gast, desto grösser der Aufmarsch. Wie 2024 von Jakob Stark (Ständerat) wird die Ansprache auch heuer von einem Thurgauer gehalten, der in Bern politisiert: Gemeinderätin Andrea Zuberbühler heisst Christian Lohr (Nationalrat) willkommen. Der Kreuzlinger Mitte-Politiker ist ein routinierter Redner an Bundesfeiern. «Es dürfte etwa meine Zwanzigste sein», sagt er.

Schweizerische Tugenden

Worüber wird der 63-Jährige an einem Tag sprechen, an dem vielen der Zoll-hammer von US-Präsident Trump in den Knochen steckt? Es ist eine unverzicht-bare Usanz, schweizerische Tugenden hervorzuheben. «Wir arbeiten ehrlich und redlich für unseren Wohlstand, sind innovativ und leistungsbereit, offen und solidarisch», sagt auch Lohr. Gelernte Bundesfeierbesucher kennen diese zur Floskel mutierte Eigendefinition des Homo Helveticus. Lohr belässt es aber nicht damit, sondern fordert im Umgang miteinander auch Respekt und Toleranz.

Zur Weltpolitik übergehend, konstatiert Lohr eine von vielen Unsicherheiten geprägte Stimmungslage und spricht Klartext: «Die teils wirren Drohgebärden aus den USA sind ernst zu nehmen. Zu glauben, mit etwas Diplomatie werden wir das dann schon hinkriegen, erscheint mir doch arg naiv.» Die Schweiz sei keine Insel der Glückseligkeit, die sich nicht darum kümmern muss, was in der Welt passiert. Ist Anpassung das Gebot der Stunde? «Auf keinen Fall!», betont Lohr. Es gelte, selbstbewusst, aber nicht überheblich aufzutreten und mit realistischen Erwartungen zu verhandeln.

Lohr befürchtet, dass die Schweiz in gesellschaftlicher Hinsicht auseinander-brechen könnte. Er sieht fünf Bereiche, auf die der Fokus zu richten ist: Alters- und Gesundheitsvorsorge, Sicherheitspolitik, Asylwesen und Jugend. Die damit verbundenen Probleme müsse man in den Griff bekommen. Die Erhöhung des Rentenalters dürfe kein Tabu sein, über das Gesundheitswesen müsse ehrlich diskutiert werden, Beschaffungen für die Armee sollten ohne öffentliches Getöse erfolgen, dem Missbrauch des Sozialsystems durch Asylsuchende müsse Einhalt geboten werden und die Jugend brauche Perspektiven.

Die Feier zum 734. Geburtstag der Schweiz nimmt nach einer Stunde den gewohnten Gang. Sie klingt im wahrsten Sinne des Wortes harmonisch aus. Stehend singen die Eidgenossinnen und Eidgenossen zunächst den mit Pathos angereicherten Schweizerpsalm, anschliessend das fidele Thurgauerlied.

Georg Stelzner