Freitag, 22. August, 2025
Erlen. An diesem Wochenende feiert die Politische Gemeinde Erlen ihr 30-jähriges Bestehen mit einem Festakt und einem Unterhaltungsprogramm. Willi Kreis, der erste Gemeindeammann, blickt auf die Anfänge zurück.
Willi Kreis wurde am 21. Februar 1951 geboren und wuchs in Happerswil auf. Die kaufmännische Ausbildung absolvierte er in der Amriswiler Gemeindeverwaltung. 1974 trat Kreis in den Dienst der damaligen Munizipalgemeinde Erlen ein, als deren Gemeindeschreiber er 1977 gewählt wurde. Von 1983 bis 1995 war er Ortsvorsteher von Kümmertshausen und ab 1989 Erler Gemeindeammann: zunächst in der Munizipalgemeinde und von 1995 bis 2007 in der neuen politischen Gemeinde. Während 16 Jahren gehörte Kreis dem Grossen Rat des Kantons Thurgau an. Von 2007 bis 2015 fungierte er als Schulpfleger der Primarschulgemeinde Arbon.
Herr Kreis, vor 30 Jahren schlossen sich sechs Ortsgemeinden zur Politischen Gemeinde Erlen zusammen. Bedurfte es dazu grosser Überredungskünste?
Willi Kreis: Im Grunde war man sich schnell einig, dass die Ortsgemeinden Buchackern, Engishofen, Ennetaach, Erlen, Kümmertshausen und Riedt zusammen eine politische Gemeinde bilden sollen. Eine solche wurde durch die vom Volk im Jahr 1987 gutgeheissene neue Kantonsverfassung, die den bisherigen Gemeindedualismus abschaffte, verlangt. Es war sinnvoll, dass die bisherige Munizipalgemeinde zusammenblieb und durch Riedt ergänzt wurde. In einzelnen Situationen war aber auch Überzeugungsarbeit vonnöten.
Wie standen Sie persönlich zur Bildung der Politischen Gemeinde Erlen?
Ich war ohne Wenn und Aber ein Befürworter. Ich erlebte als Oberhaupt der Munizipalgemeinde Erlen, wie das alte Modell bei Neuzugezogenen und Auswärtigen immer wieder auf Unverständnis stiess. So waren die Steuern und das Zivilstandswesen zum Beispiel Angelegenheiten der Munizipalgemeinde, während für die Strassen, die Brunnen und die Feuerwehr die Ortsgemeinde zuständig war. Ich war froh, dass dieser Dualismus mit der neuen Kantonsverfassung ein Ende fand.
Interessant ist der Fall der Ortsgemeinde Riedt, die bis Ende 1994 zur Munizipalgemeinde Sulgen gehörte. Warum kam es zum Wechsel zu Erlen?
Riedt hatte von Anfang an den Wunsch, sich der Politischen Gemeinde Erlen anzuschliessen. Schulisch und kirchlich gehörte das Dorf schon lange zu Erlen und vereinsmässig war es ebenfalls nach Osten, also nach Erlen, ausgerichtet. In Sulgen fand man es zwar schade, aber Widerstand gegen den Wechsel formierte sich keiner. Sulgen erhielt im Rahmen der Gemeindereorganisation dann Hessenreuti zugeteilt, das vorher zur Munizipalgemeinde Bürglen gehört hatte.
Dauerte es lange, bis sich das neue Gebilde etablieren konnte und sich in der Bevölkerung ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte?
In der ersten Amtsperiode, also in den Jahren 1995 bis 1999, musste man sich natürlich erst noch mit der neuen Situation anfreunden und sich darin zurechtfinden. In den nächsten vier Jahren gewöhnte man sich zusehends daran. Man organisierte vieles gemeinsam, wodurch der Zusammenhalt gestärkt wurde. Der einstige «Örtli-Geist» ging auf diese Weise nach und nach verloren.
Was änderte sich mit der Gründung der Politischen Gemeinde Erlen?
Der Gemeinderat erfuhr eine Aufstockung von sieben auf neun Mitglieder, in der Verwaltung waren mehr Personen angestellt und es gab nun auch einen Bauverwalter. Neu eingeführt wurde das Ressortsystem, mit dem jedem Mitglied der Behörde eine bestimmte Aufgabe übertragen wurde.
Hatten die früheren Ortsgemeinden eine gewisse Zeit einen automatischen Anspruch auf eine Vertretung im Gemeinderat Erlen?
Ja, in den ersten beiden Amtsperioden musste im Gemeinderat mindestens ein Mitglied aus einer der ehemaligen Ortsgemeinden stammen. Nach acht Jahren fiel diese Regelung weg.
Wurden in Ihrer Amtszeit auch Frauen in den Gemeinderat gewählt?
In der Behörde der Politischen Gemeinde Erlen war in der Person von Madlen Neubauer aus Erlen von Anbeginn an eine Frau dabei. Sie hatte auch schon zu Zeiten der Munizipalgemeinde dem Gemeinderat angehört.
Was waren die wichtigsten Weichenstellungen in Ihrer Amtszeit?
Ein Highlight war für mich schon der Zusammenschluss der sechs Ortsgemeinden an sich. Von grosser Bedeutung war die erfolgreiche Zusammenlegung von fünf Elektrizitäts- und fünf Wasserversorgungen in den Jahren 1995 bis 2000. In meiner zwölfjährigen Amtszeit konnten auch zwei Zonenplanrevisionen durchgeführt und die Vorarbeiten für das Rückhaltebecken beim Tobelbach in Angriff genommen werden. Letzteres geschah, um Erlen vor Überflutungen künftig bestmöglich zu schützen. Die sichtbarste Veränderung ist die Aachtalhalle, ein Grossprojekt, das die politische Gemeinde zusammen mit der Schule Erlen realisierte. Von der Existenz dieser Halle profitieren heute alle.
Worin unterscheidet sich die Politische Gemeinde Erlen von 1995 am meisten von der heutigen?
Augenfällig ist der grosse Einwohnerzuwachs als Folge der Überarbeitung der Zonenpläne und – daraus folgend – die Erschliessung neuer Wohngebiete. Am stärksten gewachsen ist dabei Riedt, das heute zweitgrösste Dorf in der Gemeinde. Weiters wurde in allen früheren Ortsgemeinden die Infrastruktur auf Vordermann gebracht. Nennenswert sind auch verschiedene Projekte zum Schutz der Natur; so wurde zum Beispiel die Aach in weiten Teilen renaturiert.
Drei Jahrzehnte nach der letzten Gemeindereorganisation wird wieder öfter über Fusionen diskutiert. Wie beurteilen Sie generell die Lage im Thurgau?
In denke schon, dass es in den nächsten 10 bis 15 Jahren wieder zu Fusionen kommen und die heutige Zahl von 80 Gemeinden nicht Bestand haben wird. Wahrscheinlich wären 60 Gemeinden für den Thurgau sinnvoll und vernünftig. Kleinen Gemeinden würde ich zu einer vermehrten Zusammenarbeit raten.
Wird es Erlen auch in weiteren 30 Jahren noch als selbstständige Gemeinde geben?
Davon bin ich überzeugt. Die Selbstständigkeit Erlens wird meines Wissens aktuell auch nicht infrage gestellt, eine Fusion mit anderen Gemeinden ist kein Thema. Dies deshalb, weil sich die Politische Gemeinde Erlen auf einem soliden Fundament positiv entwickelt hat. Aber vielleicht sollten gewisse Aufgaben in Zukunft vermehrt regional organisiert werden.
Was wünschen Sie der Politischen Gemeinde Erlen zum 30. Geburtstag?
Erlen muss sich nicht verstecken, sondern kann selbstbewusst auftreten. Wünschenswert wäre aber die Ansiedlung kleiner und mittlerer Gewerbebetriebe, um den wirtschaftlichen Mix ausgeglichener zu gestalten. Verbesserungswürdig ist auch die Nahversorgung mit Produkten des täglichen Bedarfs. In dieser Hinsicht besteht ein Nachholbedarf. Ausser in Erlen, wo es eine Metzgerei und eine Bäckerei sowie einen Volg-Laden gibt, hapert es diesbezüglich in den anderen fünf Dörfern der Gemeinde.
Festakt zum 30-Jahr-Jubiläum:
Samstag, 23. August, 11 Uhr, Aachtalhalle in Erlen
Interview: Georg Stelzner