Freitag, 22. Dezember 2023

Wie in jedem Jahr an Weihnachten entzünden wir in den Pfarreien des Pastoralraums Thurgau Mitte – so auch dieses Mal – das Friedenslicht aus Bethlehem. Das Feuer wird kurz vorher auch zu uns gebracht. Frieden aus dem Heiligen Land, mit Kerzen importiert zu uns in die Schweiz? Ich gebe zu, dieser Gedanke wirkt in dieser Zeit befremdlich. Es ist erst wenige Wochen her, dass Hamas-Kämpfer in Israel mordeten, Menschen als Geiseln nahmen und selbst Kinder und alte Menschen misshandelten.

Die Bilder der Zerstörung in Gaza Stadt und die fliehenden Menschen, oft ihres ganzen Hab und Guts beraubt, erschüttern nicht minder. Denn das, was wir landläufig unter dem «Heiligen Land» verstehen, umfasst auch diesen Teil des Landes. Mir kommt immer wieder eine ältere palästinensische Frau in den Sinn, die auf der Flucht in den Süden vor laufender Kamera klagte, wie sie ihren Sohn bei einem Raketenangriff verloren hat und beinahe fatalistisch hinzufügte: «Und dabei wollen wir alle doch nur Frieden und hoffen, dass der Krieg endlich aufhört.» Ich unterstelle einmal, dass auch die gros­se Mehrheit der israelischen Bevölkerung so denkt und sich nach einem ganz gewöhnlichen Alltagsleben ohne Raketenangriffe und Attentate sehnt. In den Weihnachtstexten des Neuen Testaments ist davon die Rede, dass auf den Feldern vor Bethlehem eine Engelschar den Hirten zurief: «Auf Erden ist Friede den Menschen seiner Gnade.» Ein Ruf, der eher als religiöse Vision und Zukunftshoffnung verstanden wurde als dass er schon damals die politische Realität im Land abgebildet hätte.

Der Hinweis auf die Gnade, die den Menschen zuteil wird, erscheint mir in diesem Zusammenhang hingegen zielführend. Denn in theologischem Sinne zielt die vorausgehende Gnade Gottes auf eine menschliche Reaktion, welche wiederum dem menschlichen Gemeinwesen zugute kommt. Anders gesagt: Wer sich getragen weiss von einer überirdischen Kraft, die die religiösen Menschen Gott nennen, der wird sich auch um ein friedliches Zusammenleben aller Menschen bemühen und das unabhängig von Alter, Kultur und ethnischer Herkunft. Es gibt in Palästina auch heute unzählige Menschen sowohl auf israelischer wie palästinensischer Seite, die sich aufrichtig um ein friedliches Zusammenleben bemühen. 

In diesem Zusammenhang sei auf das von Schweizer Bischöfen und damit von Schweizer Katholikinnen und Katholiken unterstützte Kinderspital Bethlehem hingewiesen. In diesem Spital werden schwerpunktmässig israelische und palästinensische Kinder behandelt. Besondere Bevorzugung erhalten Familien, die die Kosten nicht stemmen können und somit das Privileg einer kostenfreien Behandlung erhalten.Das Spital hat sich so zu einem Symbol des friedlichen Zusammenlebens im Nahen Osten entwickelt; zu einem Ort, an dem nicht Herkunft, Rasse und religiöse Herkunft entscheidend sind, sondern die Hilfsbedürftigkeit kleiner, hilfloser Menschen. Es sind die vielen kleinen Initiativen des Friedens und der Versöhnung, die in unserer aus den Fugen geratenen Welt Mut machen, sich der Gewalt entgegenzustemmen und die eigene Frustration zu vertreiben. Es sind zahllose Menschen, die auch in den Krisenregionen dieser Welt sich dafür einsetzen, nicht nur unermessliches Leid zu lindern, sondern mitzuarbeiten am Aufbau tragfähiger Strukturen: Für eine bessere Zukunft und für Perspektiven vieler Menschen auf dieser Erde.

Auch in unserem Land leisten viele Menschen nicht selten im Verborgenen einen wesentlichen Beitrag für eine solidarische Gesellschaft, in der jeder und jede seinen und ihren Platz finden kann. Viele helfen spontan und unbürokratisch in Not geratenen Menschen, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen. Manch einer oder eine sieht seine oder ihre persönliche Berufung darin, für andere dazusein und drückt diese Haltung auch aus in der Art und Weise, wie er oder sie lebt und über andere redet.

All die kleinen Schritte zeigen Wirkung und lassen für manchen unverhofft Weihnachten werden. Weihnachten, das Fest des Friedens und der Versöhnung.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachten.

Martin Kohlbrenner, Pfarreileiter von Katholisch Sulgen