Freitag, 15. Juli 202

Sulgen. Ursprünglich stammt der Begriff «Gautschen» aus der Papierherstellung. Bei der manuellen Papiergewinnung wird der Arbeitsschritt, bei dem der feuchte Papierbogen mit einem Sieb aus der Bütte geschöpft und auf einer Filzunterlage abgelegt wird, so genannt.Während diese Form der Papierherstellung nur noch selten praktiziert wird, ist der Brauch des «Gautschens», mit dem Lehrabgänger von Druck- und Grafikunternehmen von ihren Lehrlingssünden freigesprochen werden, weit verbreitet. Auch in der Sulger Druckerei und Agentur medienwerkstatt ag werden alle Lernenden nach erfolgreicher Lehrabschlussprüfung gegautscht.
Anfangs Woche traf es Lena Schreiber, die sich in den vergangenen vier Jahren zur Polygrafin ausbilden liess. «Ich ahnte, dass es am Montag, dem ersten Tag nach meinen Ferien, passieren könnte», sagt die 19-Jährige. Gewissheit hatte Lena Schreiber aber bis zuletzt nicht, denn gegenüber den Gäutschlingen herrscht seitens der Eingeweihten strikte Geheimhaltung. Der Auftakt zum Gautschen gestaltet sich relativ rau. Kaum ertönte der Ruf «Packt an!», wurde Lena Schreiber zu Boden gedrückt, um sie an Armen und Beinen zu fesseln. Schon bevor sie mit einem Karren zum Brunnen beim Seniorenzentrum gefahren wurde, bestäubten ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen sie mit Puder und übergossen sie mit Wasser. Beim Brunnen angekommen, verlas Gautschmeister Daniel Brüllmann den Gauschspruch. «Lasst den Corpus Posteriorum fallen auf diesen nassen Schwamm bis triefen beide Ballen. Der durst’gen Seele gebt ein Sturzbad obendrauf. Das ist dem Sohne Gutenbergs die beste Tauff!», sagte er, während die beiden sogenannten Packer das Geforderte ausführten. Kaum hatte sich Lena Schreiber aus ihrer misslichen Lage befreit, wurden die Jäger zu Gejagten. Die neu gekürte Tochter Gutenbergs nutzte die Gelegenheit, auch der Lehrlingsverantwortlichen und anderen Anwesenden eine Dusche zu verpassen.
Gemütlicher ging es beim anschliessenden Apéro vonstatten, zu dem die medienwerkstatt ag im Anschluss eingeladen hatte. Lena Schreiber wird den Betrieb nach dem offiziellen Ende ihrer Lehrzeit verlassen, um die Berufsmaturität in Gestaltung und Kunst zu erlangen. «Wie es danach weitergeht, ist noch offen», erklärte sie. (mwg)