Freitag, 17. August 2018

Sulgen. Dass General Henri Guisan einmal in Sulgen zu Gast war, dürften viele Einwohner nicht mehr wissen. Dorfchronist Erich Hungerbühler hält durch seine Erzählungen die Geschichte des Dorfes am Leben. 

Wenn jemand von der «Helvetia» spricht, weiss fast jeder Sulger, was damit gemeint ist. Heute befinden sich in dem ­Gebäude an der Weinmoosstrasse 1 ein Restaurant und mehrere Wohnungen. Doch das war nicht immer so. «Viele ältere Mitbürger können bestätigen, dass die ‹Helvetia› früher eine eigene kleine Welt war. Man darf sogar behaupten, dass sie vor Jahrzehnten das Kulturzentrum von Sulgen war», erinnert sich Erich Hungerbühler. 

Ort der Begegnung
Erbaut wurde das Hotel Helvetia von einem gewissen Germann, der das Gebäude 1875 errichten liess. Damals war es ein einfacher Gastgewerbebetrieb und verfügte noch nicht über das heutige Ausmass. Als eine von Germanns fünf Töchtern 1895 Albert Isler heiratete, führte das Paar die «Helvetia» weiter. Mit dem Aufkommen der Elektrizität im Jahr 1907 vergrösserte Albert Isler das Gebäude um einen grossen Saal und erfüllte damit den Wunsch der Bevölkerung nach einem Ort der Begegnung. In den Achzigerjahren wich der Saal jedoch Wohnungen. Im Gegensatz zum Türmchen, das noch heute die Südseite des Gebäudes ziert, sind die schönen Ornamente durch verschiedene Renovationsarbeiten verschwunden. 

Heiter und gewandt
1932 heiratete Paul Isler, ein Enkel von Germann, die Berger Käserstochter Anni Eggimann. 38 Jahre lang wirtete das Paar, das im «Isler Block» an der Kradolfstrasse wohnte, in der «Helvetia». Neben dem Gastgewerbebetrieb betrieben sie die angrenzende Brückenwaage. «Anni Islers Mann war zudem noch als Bauer sowie Obst- und Kohlenhändler tätig», erzählt Erich Hungerbühler. Der Herzlichkeit von Anni Isler und der kaufmännischen Gewandtheit ihres Mannes war es zu verdanken, dass das Hotel glanzvolle Jahre erlebte und so prächtig erhalten blieb. Das Hotel Helvetia genoss auch weit über die Gemeindegrenzen hinaus einen guten Ruf und bot Platz für Tagungen, Sitzungen, Vereinsanlässe, Theater und Konzerte. Da es damals noch keine Unterführung gab, führte die Strasse direkt an der «Helvetia» vorbei. «Diese Gelegenheit nutzten die Sulger gerne, um einzukehren», weiss Erich Hungerbühler zu berichten.
Die Jahre des Zweiten Weltkriegs waren für alle hart. Auch in der «Helvetia» kehrten entbehrungsreiche Zeiten ein. Im Mai 1940 machte Henri Guisan, der General der Schweizer Armee, ein erstes Mal in Sulgen Station und hielt den Ortsbehörden einen Vortrag über die Lage in und um Sulgen. «Einige Sulger können sich heute noch an ihre Begegnung mit dem General erinnern», sagt Erich Hungerbühler. 1944 besuchte der General Sulgen erneut. Die Kriegslage war sehr ernst geworden und man befürchtete, dass Kreuzlingen evakuiert werden müsste. Im Ernstfall wären Kreuzlinger Flüchtlinge im Saal der «Helvetia» untergebracht worden. Glücklicherweise wurde der Plan durch das nahende Kriegsende hinfällig. 

Bäume weichen Kirche
1959 hatte Paul Isler eine schwere Entscheidung zu treffen. Die Katholische Kirchgemeinde plante, am Hang hinter der «Helvetia» eine neue Kirche zu errichten. Das bedeutete aber, dass dafür die grösste Gravensteiner-Kultur im Kanton weichen musste. In Anbetracht seines Alters entschied er sich dann doch für den Verkauf der Anlage. Noch im gleichen Jahr verstarb Paul Isler. Die «Helvetia» führte seine Frau Anni bis 1970 weiter. «Danach musste sie den Gastgewerbebetrieb, der ihr so am Herzen lag, verkaufen», erklärt Erich Hungerbühler in seiner Chronik.
Nachdem Anni Isler das Wirten aufgab, wechselte der Besitzer der Liegenschaft «Helvetia» mehrmals. «Letztendlich bleibt nur die Hoffnung, dass sich die legendäre ‹Helvetia› weiterhin zu behaupten vermag», wünscht sich Dorfchronist Erich Hungerbühler. 

Monika Wick