Donnerstag, 31. Juli 2025

Erlen. Er bringt es auf über 80 Jahre, sie steht kurz davor – dennoch versprühen beide eine Energie wie Menschen deutlich jüngeren Alters. Die Rede ist von Wolf und Inga Buchinger aus Erlen. Was hält das bunte Paar so jung? Ein Besuch bei den «Kern­beissers» anlässlich des neuen Krimis.

Ein Lob gleich vorneweg: Inga und Wolf sind formidable Gastgeber, die viel zu erzählen haben. Seit elf Jahren wohnt das Paar in einem Neubaugebiet in Erlen. Wer ihre Attika-Wohnung betritt, muss staunen ob der vielen Souvenirs aus aller Herren Länder. Da würde man selbst gerne auf Entdeckungsreise gehen! Auf der Terrasse wird aufgetischt. Es gibt ein Drei-Gänge-Menü mit internationalen Spezialitäten. Was auf den ersten Blick festlich wirkt, durchkreuzt Wolf Buchinger mit dem Hauptgang: OLMA-Bratwurst vom Gartengrill. «Wer zuerst fertig ist, bekommt noch eine. Guten Appetit», wünscht er. Es ist die erste Kostprobe seines Humors, der gern auf Schweizer Begebenheiten anspielt und manchmal nicht jedermanns Sache ist. Wie sich am neuesten Werk zeigen soll, stört ihn das nicht. Der Entertainer besitzt genug Selbstbewusstsein, er freut sich über Lacher, und sollten seine Anspielungen provozieren, dann ist das zumindest als Stimulanz, als Anregung zum Nachdenken, bestimmt so gewollt.

Kreativität hält jung

Stillstand, das wird im Gespräch klar, macht alt. Für die Buchingers hingegen ist Kreativität ein Jungbrunnen. Beide sind seit Jahrzehnten als musikalisches Duo «Kernbeissers» unterwegs und sie schreiben und veröffentlichen Bücher im eigenen Pingpong-Verlag. Und natürlich setzen sie auf Bewegung: So oft es geht, schwingen sie sich zusammen aufs Tandem, machen längere Touren oder steuern Lieblingsorte in der Region an wie den Biergarten der «Sonne» in Schönenberg. Dieser kommt im neuen Krimi vor, doch dazu später.

Zunächst die Musik. Beide musizieren seit ihrer Jugend. Als Duo «Kernbeissers» stehen sie seit Anfang der 90er-Jahre auf der Bühne. Gegründet aus einer «Midlife-Crisis» heraus, wie Wolf Buchinger einmal sagte. Über 1400 Konzerte haben sie seitdem gegeben. Tourneen führten sie bis nach Afrika und an viele sehr unterschiedliche Konzertorte. Nur zu gerne (und zur Freude des Gastes) schwelgen die «Kernis» in Erinnerungen; skurrile Auftritte haben sie zuhauf erlebt. In der Coronazeit hatte das Duo sogar eine Art Höhenflug und spielte 44 Konzerte auf Parkplätzen vor Altersheimen.

Das Beste: Die «Kernbeissers» sind weiterhin aktiv. Ans Aufhören denken sie nicht, im Gegenteil: «Unser Repertoire umfasst Hunderte Lieder, darunter selbst Geschriebenes, aber auch Evergreens», sagt Wolf Buchinger nicht ohne Stolz. «Neu haben wir sogar Weihnachtslieder im Programm.» Geprobt wird im Wohnzimmer, an Songs basteln sie manchmal noch spät am Abend. Das geht? «Ja, die Nachbarn sind Fans», meint Inga Buchinger lachend. Einfach nur gemütlich herumlungern gibt es bei ihnen nicht. Und beide bekräftigen: «Wir wünschen uns, auf der Bühne zu sterben.»

Fleissiges Duo

Neben der Musik leben sie ihre Kreativität in der Literatur aus. Wolf Buchinger ist bekannt als ehemaliger, langjähriger Autor des Satiremagazins «Nebelspalter» – und Verfasser von Sachbüchern, Ratgebern, Unterhaltung und Biografischem. Sogar Gedichte umfasst sein Oeuvre. Seit einigen Jahren schreibt er auch Krimis. Obwohl: Zwar steht sein Namen über den Titeln, doch Ingas Arbeit als Ideengeberin, Sekretärin, Lektorin und erste Leserin ist fast genauso hoch.

Lauter Lokalkolorit

Ihre neueste Veröffentlichung heisst «Tot im Moor»; der dritte Krimi, der in der Ostschweiz spielt. Dieses Mal ermittelt ein Dorfpolizist, der Beat Deutsch heisst. Sein Lieblingsessen ist die «Kinderfest-Kalbsbratwurst», er hat einen Appenzeller Bläss namens Pingpong und feiert am Ende mit seiner Frau und Kollegen im Biergarten der «Sonne».

Schnell wird offensichtlich: Beat Deutsch ist ein literarisches Alter Ego von Wolf Buchinger. Die Situationen, die der Protagonist im Buch erlebt, kennt sein Erfinder aus dem Alltag als deutscher Einwanderer in der Schweiz. Sein trockener Humor und das schelmische Selbstverständnis, mit dem er seiner konservativen Umwelt begegnet, lassen ebenfalls darauf hindeuten.

Der Plot ist schnell zusammengefasst: Beim Spazierengehen findet der Hund des Polizisten eine Leiche im Moor. Anfänglich selbst tatverdächtig, lernt der Ermittler in Untersuchungshaft in Frauenfeld einen Senegalesen kennen, der ihm wichtige Hinweise gibt, um den Fall zu lösen. Was einige wilde Drehungen später auch der Fall sein wird.

Über die Ostschweizer Seele

Spass macht das Buch wegen seiner verrückten Einfälle, aberwitzigen Dialoge und zahlreichen Verweise. Dass hier die Ostschweizer Seele enthüllt wird, haut allerdings nicht wie auf dem Klappentext angekündigt hin. Dazu benötigt es dann doch mehr als Klischees abzubilden wie einen Deutschen hassenden Edelweisshemdenträger, «bünzlige» Polizeichefs oder afrikanische Drogendealer. Manches wirkt zudem etwas an der Realität vorbei. Auch auf dem Land gibt es doch kaum jemanden mehr, der sich über Homosexualität aufregt oder darüber, dass man nicht mehr «Neger» sagen sollte. Sollte es sich andererseits um Kritik an den Auswüchsen politischer Korrektheit handeln, gäbe es weitaus bessere Beispiele. Der Lokalkolorit kommt teilweise von oben herab daher oder funktioniert nicht wirklich. Es heisst doch «der» Volg und nicht «die» Volg, oder? Mehr Überarbeitung und bessere Gliederung hätten dem Werk gut getan.

Wer ein dickes Fell hat, kann auf jeden Fall hineinlesen. Ein bisschen Schock-Effekt ist gewollt. Oder wie es Wolf Buchinger sagt: «Krimis müssen einem kranken Hirn entspringen – und genau das macht mir Spass daran.»

Stefan Böker