Freitag, 24. November 2023

Bürglen/Romanshorn. Kiel, Helling, Mole – jenen unter den rund vierzig Teilnehmenden an der Führung durch die Bodenseewerft in Romanshorn, die gerne Kreuzworträtsel lösen, werden die Fragen nach nautischen Begriffen nun leichter fallen. 

Der lang gezogene rötliche Bau am See ist im Winterhalbjahr Arbeitsort von rund einem Dutzend Angestellten der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG (SBS). Während der Schifffahrtssaison arbeiten sie auch auf den Kursschiffen als fahrendes Personal oder im Gastrobereich. «Im Winter haben wir eine normale 5-Tage-Woche, im Sommer richtet sich unsere Arbeitszeit nach den Schiffsfahrplänen. Da wird auch an drei von vier Wochenenden im Monat gearbeitet», erklärt Thomas Friedrich. Er ist Leiter der Werft, Kapitän und hat ursprünglich das Schreinerhandwerk erlernt. Er und David Oser, gelernter Mechaniker und ebenfalls Kapitän, führen an diesem Donnerstagnachmittag die Teilnehmenden am Ausflug des Bürgler Forums in zwei Gruppen durch die Werft.

Positioniert und festgemacht

Die Helling, die schräg abfallende Fläche in der Werft, auf der ein Schiff zur Reparatur trockengelegt wird, ist an diesem Tag leer. So lässt sich gut erkennen, wie der Wagen aufgebaut ist, auf dem die Schiffe für ihren Werftaufenthalt festgemacht werden. Auf den Balken in der Mitte kommt der Kiel des Schiffes zu liegen, seitlich wird das Schiff mit Stützen fixiert. Jedes Schiff sei anders in Grösse und Aufbau, weshalb dieser Vorgang jeweils individuell angepasst werde, lernen die Zuhörer von Thomas Friedrich. «Der Unterbau unserer Fähren sieht eher wannenförmig aus, da diese Schiffe dafür gebaut sind, schwere Lasten zu transportieren. Die Kursschiffe haben einen steileren Rumpf, der eine schnellere Fahrt erlaubt.» Nebst den Schiffen der SBS werden in Romanshorn auch Ausflugs- und Fährschiffe anderer Eigner gewartet. Als Thomas Friedrich beschreibt, wie das Schiff in die Werft gebracht wird, lässt seine Aussage «gezogen von Hand» die Besucherinnen und Besucher aufhorchen und nachfragen. So richtig erschliesst sich der Vorgang erst draussen im Werfthafen. Dort wird das Schiff von den Werftmitarbeitern mit Tauen von der Mole aus seitlich auf den im Wasser liegenden Wagen gezogen. «Damit wir dieses Manöver durchführen können, muss es praktisch windstill sein», erklärt der Werftleiter. Wegen der grossen Angriffsfläche, die ein Bodenseeschiff dem Wind bietet, könnte es sich sonst leicht losreissen und abdriften. Während ein Teil der Mannschaft das Schiff von der Mole aus in Position hält, platziert der andere Teil von Flössen aus die Stützen. Danach wird der Wagen in die Werft gezogen. In gut eineinhalb Stunden sei diese Arbeit zu schaffen, bei den grossen Fähren dauere es aber meist etwas länger, erklärt Thomas Friedrich. Und er hält fest: «Wir holen die Schiffe nur in die Werft für ­Arbeiten unter der Wasserlinie. Alle anderen Arbeiten, zum Beispiel Wartungsarbeiten an den Motoren, werden auf dem Schiff im Hafen durchgeführt.» 

Von Muscheln befreit

Im Trockendock wird der Schiffsrumpf gründlich gereinigt und auf Schäden untersucht. In den letzten Jahren setzen sich vermehrt die invasiven Quaggamuscheln an den Schiffen fest. Ein starker Befall habe einen direkten Einfluss auf den Treibstoffverbrauch und die Fahrgeschwindigkeit eines Schiffes, erklärt Friedrich. Vom Dampfschiff Hohentwiel, das vor seiner Revision mehrere Jahre nicht in der Werft war, hätte sein Team 3,5 Tonnen Muscheln entfernt. Nebst der Kontrolle und Reinigung der Aussenhaut, benötigt auch der innere Teil der Schale Pflege. Durch die engen Platzverhältnisse sind diese Arbeiten nicht immer einfach auszuführen. Rechts und links neben der grossen Halle befinden sich die Werkstätten, wo die Arbeiten an den ausgebauten Teilen stattfinden. Dort werden Metalle gefräst und Hölzer zugeschnitten, Motorenteile zerlegt, gefettet und wieder montiert sowie Inneneinrichtungen geschliffen, lackiert oder bemalt. Im nächsten Jahr soll das Passagierschiff MS Zürich generalüberholt werden, erfahren die Zuhörer. Dafür wird das Schiff bis auf sein Skelett zerlegt. Rund 4,5 Millionen Franken investiert die SBS in den Schiffsveteran mit Baujahr 1933. Danach wird die MS Zürich wieder gut 30 Jahre auf dem Bodensee ihren Dienst versehen. Nach dem höchst informativen Rundgang wärmten sich die Ausflügler bei Kaffee und Kuchen im Restaurant Hafen auf, bevor sie sich mit dem Zug wieder auf die Heimreise machten. 

Hannelore Bruderer

Blick in die Geschichte 

Nicht immer war die Werftarbeit an den Schiffen so komfortabel wie heute. In den Anfängen gab es kein Tor, das das Werftgebäude gegen den See hin verschloss, von wo eisige Bisenwinde in die Halle vordrangen. Und ganz am Anfang gab es nicht einmal eine Halle. Die Schifffahrt auf dem Bodensee war bis 2006 eng mit der Eisenbahn verbunden, die Mitte des 19. Jahrhunderts Romanshorn erreichte und dem Ort einen Aufschwung bescherte. Schiffsreparaturen wurden in der Bahnwerkstätte vorgenommen bis die damalige Schweizerische Nordostbahn von 1861 bis 1864 eine erste Werft erbaute. Die heutige Werfthalle mit Hellinganlage war 1906 bezugsbereit. Mit eindrücklichen Bildern unterlegt, blickte Thomas Friedrich mit den Besucherinnen und Besuchern auf den Umbau und die ­Erweiterung der denkmalgeschützten Werft im Jahr 2014 zurück. Dabei wurde das Werftgebäude um 1,20 Meter erhöht und um 17 Meter in den See hinein erweitert, wozu der Werfthafen trockengelegt werden musste. Die Werft in Romanshorn ist nach ihrem Umbau die grösste und modernste ihrer Art am Bodensee. (hab)