Freitag, 17. Januar 2020

Sulgen. Vor rund einer Woche schloss der «Rössli Beck» das Verkaufsgeschäft sowie das Café für den Umbau des Produktionsbetriebs. Dorfchronist Erich Hungerbühler wirft einen Blick in die bewegte Vergangenheit des «Rösslis».

Vor 25 Jahren zog Edgar Ehrbar mit seiner Bäckerei aus dem Oberdorf in die neue «Rössli»-Überbauung. Seither betrieb er an diesem Standort an der Bahnhofstrasse neben der Bäckerei ein Verkaufslokal samt Café. Doch damit ist seit einigen Tagen Schluss. Um die Produktionsstätte vergrössern zu können, entschloss sich Edgar Ehrbar schweren Herzens dazu, den Laden und das Café zu schliessen. Sein Entschluss bedeutet auch, dass eine 110-jährige Tradition zu Ende geht.

Name bleibt erhalten

«Einige Sulger mögen sich sicher noch gut an das Restaurant Rössli erinnern, das vor 25 Jahren der «Rössli»-Überbauung weichen musste», sagt Dorfchronist Erich Hungerbühler. In einer Abhandlung lässt er die Geschichte rund um das «Rössli» aufleben. Erbaut wurde das Wohnhaus mit Scheune im Jahre 1898 durch die Baufirma von Jakob Schenk. Den Auftrag erteilte der damalige Tierarzt Ferdinand Keller. «Die Tierarztklinik war eines der ersten Häuser an der 1878 erbauten Westumfahrung (heutige Bahnhofstrasse) von Sulgen», berichtet Erich Hungerbühler. Neben seiner Tätigkeit als Tierarzt war Ferdinand Keller damit beauftragt, die neue technische Errungenschaft, das Telefon, einzuführen. Dadurch wurde nach der Fertigstellung der Liegenschaft einer der ersten Telefonapparate in Sulgen installiert. Rund zehn Jahre später wichen die Petrollampen elektrischen Glühbirnen. 1910 registierte Ferdinand Keller einen Wirtschaftsbetrieb mit Gartenwirtschaft. «Das Restaurant Rössli und vor allem die schöne Gartenwirtschaft waren damals recht begehrt unter den Gästen», berichtet Erich Hungerbühler. Die Gartenwirtschaft zierte auch ein runder, hellblauer Zierbrunnen, der mit einer eigenen Wasserquelle vom Postberg gespiesen wurde. Im Jahre 1926 übernahm der 1891 in Mogelsberg geborene Hans Züblin die Praxis mit der dazugehörigen Wirtschaft von Tierarzt Keller. Aufgrund seines guten Ansehens wurde ihm bald auch das Amt des Bezirkstierarztes anvertraut.Zudem gehörte Hans Züblin während 26 Jahren der Ortskommission Sulgen an, die letzten sechs Jahre sogar als Vizevorsteher. Seine Frau, mit der er rund fünzig Jahre lang verheiratet war, kümmerte sich liebevoll um den Wirtschaftsbetrieb, die zwei Söhne und die Tochter. Nach der Generalmobilmachung der Armee am 2. September 1939 waren auch Truppen in Sulgen stationiert. «Das Rössli war unter den Soldaten begehrt. Auch wegen des Telefons, mit dem die Armee-Angehörigen mit ihren Liebsten in Verbindung treten konnten, herrschte reger Betrieb», sagt Erich Hungerbühler. 

Wirte kommen und gehen

In den Fünfzigerjahren konnten auch die LKW-Chauffeure nicht am «Rössli» vorbeifahren. Vor allem die Lastwagenfahrer und Beifahrer der damaligen Kradolfer Teigwarenfabrik machten Morgens um halb sechs beim Rössli den ersten Halt und tranken, bevor sie weiter nach Zürich fuhren, den ersten «Römer». Ende der Sechzigerjahre nutzten die Zimmerschützen das «Rössli» als neues Vereinslokal, nachdem sie im Res­taurant Freihof die alte Kegelbahn, in der sie auch Vereinsschiessen durchführten, aufgeben mussten. Nachdem Tierarzt Züblin und seine Frau altershalber ins Seniorenheim nach Kreuzlingen zogen, herrschte im «Rössli» ein stetiger Wirtewechsel. «Mir bekannte Wirtsleute waren der Bündner Christoffel oder Billeter, mit dessen Tochter Yolanda ich noch die erste Schulklasse im Oberdorf besuchte», erinnert sich Ernst Hungerbühler. Später folgte das Wirteehepaar Felix, das im Anschluss die «Linde» in Wigoltingen übernahm, Gänsezüchter Fuchs und am Schluss Trudi Soller mit ihrem Hund Tanneli sowie Taglöhner und Kellermeister Röbi Sutter. Zuvor wirtete Trudi Soller im «Hirschen» in Sulgen. «Das legendäre Restaurant Rössli wurde im April 1994 abgebrochen und durch die Überbauung mit dem ‹Rössli Beck› ersetzt», sagt Erich Hungerbühler.

Monika Wick

Rege Bautätigkeit an der Bahnhofstrasse
An der Bahnhofstrasse, die bis 1966 als Hauptstrasse in Richtung Bischofszell diente, herrschte in den letzten fünzig Jahren rege Bautätigkeit. 1965 wurde der überteuerte Neubau der Druckerei Bircher erstellt. Später folgten die Geschäftshäuser der Raiffeisen- und der Thurgauer Kantonalbank, der Neubau des Sulgerhofs und die Geschäftsräume von Elektro Walter. (mwg)