Freitag, 21. Oktober 2022

Kradolf. Seit April befindet sich im Güterschuppen am Bahnhof in Kradolf ein Industrieflohmarkt. In dem Schuppen lagern nicht nur Gegenstände, sondern auch viele Geschichten.

«Das ist eine Filmkamera, die die Journalisten des Schweizer Fernsehens bis 1968 verwendet haben», sagt René Hofmann. Noch ist das Schmuckstück in einer hölzernen Kiste verstaut, die wiederum in einem Regal steht. «Die haben wir bei einer Hausräumung in einem Keller gefunden», erzählt René Hofmann, während er die Kamera sorgfältig aus ihrer Verpackung hebt. Die Filmkamera ist nur eines der vielen aussergewöhnlichen Fundstücke, die im Güterschuppen am Bahnhof in Kradolf lagern. Zusammen mit seinem Kollegen Reto Thurnherr betreibt René Hofmann seit April den «Industrieflohmarkt Gleis 3». «Zuvor waren wir vier Jahre lang in Bürglen», sagt René Hofmann. 

Perfekte Location
Auf die Frage, wieso zwei in Herisau und Urnäsch lebende Appenzeller ausgerechnet in Kradolf einen Flohmarkt eröffnen, antwortet er: «Hier ist der ideale Standort, weil er auch Laufkundschaft generiert und der Charme des Gebäudes perfekt zu unserem Sortiment passt.» Tatsächlich bietet der rustikale Raum das ideale Ambiente für das Sammelsurium des Duos, das sich als «Swiss Pickers» bezeichnet, was so viel bedeutet wie Schweizer Sammler. René Hofmann und Reto Thurnherr haben sich auf das Sammeln von sogenanntem Industrie-Design spezialisiert. Sie durchforsten Abbruchhäuser nach Fundstücken oder beteiligen sich an Fabrikräumungen. «Wir suchen auch im Internet nach Artikeln. Dabei interessiert uns oftmals nicht das angebotene Teil, sondern Dinge, die im Hintergrund zu sehen sind», erklärt René Hofmann. 

Passende Geschichte
So vielfältig die Herkunftsorte sind, so abwechslungsreich sind auch die Artikel, die sich im Industrieflohmarkt aneinanderreihen. Neben alten, eisernen Kleiderspinden und Waschtrögen sowie schmucken Schubladenmöbeln warten Leuchtbuchstaben oder grosse Industrielampen auf ihre neuen Besitzer. Auch Freunde von skurillen Ausstellungsstücken sind bei den «Swiss Pickers» an der richtigen Adresse. Zudem halten sie für jedes Stück die dazugehörende Geschichte bereit. «Der Verkauf steht bei uns nicht im Vordergrund. Wenn wir durch alte Fabriken und Häuser gehen, geht uns durch die Geschichte, die sie uns erzählen, das Herz auf, sagt René Hofmann. Gleichzeitig betont er, dass sie die Gebäude nur mit Erlaubnis der Besitzer betreten und für jedes Teil einen fairen Preis bezahlen. 

Grosser Ideenreichtum
Auf die Restauration oder die Instandstellung der Fundstücke verzichten die beiden. «Genau so wie wir sie finden, verkaufen wir sie wieder. Unsere Kunden bringen eigene Ideen mit, wie sie die Teile verwenden wollen», erklärt René Hofmann. Das Fernsehmöbel in seiner eigenen Wohnung sei beispielsweise einmal eine Werkbank gewesen. Auch sonst mangelt es ihm nicht an Ideen. Neu im Sortiment befinden sich zwei alte, schon etwas rostige Sandstrahlkabinen aus der Schmuckindustrie. «Man könnte einen Boden oder ein Leuchtmittel einbauen und sie als Bar oder Lampe benutzen. Man könnte sie aber auch so sein lassen und als Grill verwenden, ein Abzugsrohr hat es ja schon», sprudelt es aus ihm heraus.
Zum Sammeln ist René Hofmann vor rund sechs Jahren gekommen. Um nach seiner Scheidung den finanziellen Verpflichtungen besser nachkommen zu können, begann er, Sachen auf herkömmlichen Flohmärkten zu verkaufen, der Rest ist Geschichte. Da René Hofmann und Reto Thurnherr, beide sind 52 Jahre alt, Vollzeit in Druckereien arbeiten, betreiben sie den Industrieflohmarkt als Hobby. «Wir haben lediglich samstags von 9 bis 17 Uhr geöffnet», sagt René Hofmann. Zusätzlich planen die «Swiss Pickers» im nächsten Frühjahr, einen Vintage-Flohmarkt auf dem Areal des Bahnhofs zu organisieren. Mit dem Sammeln aufzuhören, kann sich René Hofmann nicht vorstellen. «Wir werden sammeln, bis wir sterben», sagt er lachend. 

Monika Wick