Freitag, 15. Januar 2021

Erlen. Die Coronapandemie hat auch die Arbeit der Seelsorgenden beein­flusst. Sarah Glättli ist seit 2014 Pfar­rerin in der Evangelischen Kirchgemeinde Erlen. Im Interview erzählt die 33-Jährige, wie sie diese Zeit erlebt. 

Seit Anfang Dezember gilt eine Obergrenze von 50 Personen bei Gottesdiensten. Besonders in der Advents- und Weihnachtszeit haben viele Menschen das Bedürfnis, eine Kirche zu besuchen. Wie konnten Sie diesem Bedürfnis in Ihrer Kirchgemeinde nachkommen? 

Sarah Glättli: Da wir möglichst niemanden an der Türe abweisen wollten, haben wir eine Anmeldung zu den Gottesdiensten via Internet angeboten. Wer kommen wollte, konnte kommen. Ich habe aber auch gemerkt, dass die Menschen in der Adventszeit sehr zurückhaltend waren. Anders als im Lockdown zu Ostern, ist die Türe unserer Kirche für Gottesdienste jetzt aber offen. Das ist ein starkes Symbol. 

Finden Sie die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie angebracht, die den Kirchen auferlegt werden?

Glättli: Während andere Veranstaltungen ganz verboten sind, dürfen wir mit 50 Personen Gottesdienste feiern, was nicht selbstverständlich ist. Deshalb ist es für mich auch in Ordnung, wenn wir dafür Hände desinfizieren, Masken tragen und Abstand halten müssen sowie vor und nach dem Gottesdienst vorläufig nicht mehr zusammenstehen dürfen. Die Obergrenze von 50 Personen ist eine gute Kompromisslösung.

Eine Einschränkung betrifft das gemeinsame Singen. Welchen Stellenwert hat der Gesang in der Liturgie? 

Glättli: Wir merken erst jetzt so richtig, welchen Stellenwert der Gesang hat. Sogar Leute, die sagen, sie singen gar nicht gerne, vermissen es. Evangelische Gottesdienste sind eher wortlastig. Die Lieder haben auch deshalb für uns einen hohen Stellenwert, weil sie wie das «Vater unser» den gemeinsamen Aspekt betonen. Die Gemeinschaft will gemeinsam Gott anbeten, gemeinsam Bibelworte aussprechen und sich gemeinsam an Verheissungen und Versprechen erinnern. Zusammen singen tut allen gut.

Mit welchen Mitteln wird der fehlende Gesang ausgeglichen? 

Glättli: Wir haben Orgelmusik und summen mit. Es ist aber nicht das Gleiche. Besonders bei den Adventsgottesdiensten fehlte etwas. Sie waren trockener als sonst. Das Singverbot stelle ich aber nicht infrage. Ich denke, die meisten verstehen diese Massnahme, auch wenn wir das Singen schwer vermissen. Auf der anderen Seite realisieren wir so auch, wie schön das gemeinsame Singen ist. 

Wenden sich Gläubige in diesen Zeiten vermehrt an Sie? 

Glättli: Aktiv suchen etwa gleich viele Personen das Gespräch mit mir wie vor der Pandemie. Frage ich nach, merke ich schon, dass es Menschen gibt, die unter der Situation leiden, alleine sind und es gerne anders hätten. 

In der Seelsorge begleiten Sie auch betagte und hilfsbedürftige Menschen. Sind Hausbesuche, Besuche in Alters- und Pflegeinstitutionen derzeit überhaupt möglich? 

Glättli: Einmal im Monat halte ich im Altersheim Schloss Eppishausen einen Gottesdienst. Das war während des Lockdowns nicht möglich. Grundsätzlich bin ich zurückhaltend und mache nur Besuche, wenn ich angefragt werde. Auch weil ich davon ausgehe, dass bei einer Ansteckung die Konsequenzen für mich, da ich noch jung bin, geringer wären als für die Besuchten.

Wie geht es Ihnen persönlich in dieser Zeit? 

Glättli: Mir geht es grundsätzlich gut. Ich habe viele Ideen und dann gibt es auch immer Aufgaben, die noch nicht erledigt wurden und jetzt angegangen werden können. Zum Beispiel überarbeiten wir jetzt unsere Homepage. Im Lockdown habe ich Listen mit den Namen unserer älteren Gemeindemitglieder erstellt. Diese rufe ich seither an. So habe ich einige mir vorher unbekannte Personen kennengelernt. 

Wohin wendet sich eine Pfarrerin für Fragen, die sie beschäftigen?  

Glättli: Als Pfarrerin ist man manchmal schon auf sich selbst gestellt. Aber man hat viele Menschen, die einen unterstützen. Das ist wertvoll. Organisiert von der evangelischen Allianz finden monatliche Treffen mit anderen Pfarrpersonen statt. Dann tausche ich mich auch regelmässig mit den Mitgliedern der Kirchenvorsteherschaft und Personen aus der Kerngemeinde aus. Da wir keine Text- und Gesangsbücher mehr verteilen dürfen, haben es zwei Gemeindemitglieder übernommen, Texte und Bilder mit dem Beamer an die Wand zu projizieren. Dass sich Gemeindemitglieder so engagieren, mitdenken und ihre Unterstützung anbieten, ist eine grosse Freude. 

Eine Gemeinde lebt von gesellschaftlichen Begegnungen. Diese sind im Moment nur beschränkt möglich. Glauben Sie, dass dies eine längerfristige Auswirkung auf Ihre Gemeinde haben wird? 

Glättli: Die aktuelle Zeit kann genutzt werden, um darüber nachzudenken, was einem wichtig ist und wo man seine Prioritäten setzen will. Vielleicht finden einige nach der Krise das Sofa zuhause am Sonntagmorgen gemütlicher als den Gang zum Gottesdienst. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich denke, Menschen brauchen Gemeinschaft und viele vermissen diese jetzt. Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine Zeit braucht, bis die Menschen ihre Zurückhaltung ablegen, wenn Treffen wieder möglich sein werden. Die Frage, wie es in Zukunft sein wird, hat mich auch schon beschäftigt. Deshalb habe ich an der letzten Vorstandssitzung in die Runde gefragt: «Meint ihr, wenn jetzt alle so zurückhaltend sind, werden unsere Veranstaltungen wieder einmal so stark besucht wie vorher?» Die Antwort war eindeutig: «Aber ja. Wenn wir zum Kirchenkaffee einladen und die Leute sich wieder treffen können, werden sie sicher auch kommen.» 

Interview: Hannelore Bruderer