Freitag, 7. Juli 2017

Sulgen. Nicht in allen Berufen werden Traditionen so hoch gehalten wie in der Druckerbranche. «Gautschen» heisst die Zeremonie, mit der die Lernenden nach Abschluss ihrer Lehre von ihren Lehrlingssünden reingewaschen und in den Stand der Berufsleute aufgenommen werden. Dass dieser Tag kommen wird, wusste auch Polygrafin Hannah Sandmeier – nur nicht wann! Denn der Zeitpunkt des Gautschens wird von den Mitarbeitenden streng geheim gehalten. Ihr, die ihre Lehrabschlussprüfung als Beste im Kanton abgeschlossen hatte, stand eine letzte Prüfung bevor. Am Mittwoch, kurz nach 11 Uhr, ertönte in ihrem Lehrbetrieb, der medienwerkstatt ag in Sulgen, der althergebrachte Ruf «Packt an!». Trotz heftiger Gegenwehr – denn wer dem Gautschen entfliehen kann, muss das Gautschfest für die Arbeitskollegen nicht berappen – musste sich Hannah Sandmeier der Übermacht ergeben. Sie wurde mit Klebeband zu einem handlichen Paket verschnürt. Noch bevor es im Postkarren Richtung Dorfzentrum ging, wurde die junge Berufsfrau getreu dem alten Brauch ein paar Mal kalt abgeduscht und eingepudert. An staunenden Passanten, Strassenarbeitern und Autofahrern vorbei, rollten die Mitarbeitenden der medienwerkstatt ag die junge Polygrafin zum Dorfbrunnen beim Seniorenzentrum. Dort führte Gautschmeister Jens Pleli in historischem Gewand die Freisprechzeremonie durch. Dabei wird der Gäutschling auf einen nassen Schwamm gesetzt und danach in den Brunnen eingetaucht. Von den Fesseln befreit, steht es dem Gäutschling frei, Rache zu nehmen und die Berufskollegen nass zu spritzen. Das kostete Hannah Sandmeier ausgiebig aus. Mit dem Erhalt des Gautschbriefes ist sie im Kreis der Ausgelernten angekommen.

(hab)