Freitag, 16. Februar 2017

Istighofen. Otto Knöpfli ist ein aktiver Rentner. Er leistet auf abgeschiedenen Alpen als Hirte Freiwilligenarbeit. Um sich das
nötige Fachwissen anzueignen, drückte er die Schulbank und absolvierte einen Hirtenlehrgang. 

In seinem Beruf war Otto Knöpfli den Menschen ganz nahe. Zusammen mit seiner Frau Christina betrieb er in Bürglen 40 Jahre lang einen Coiffeursalon und bildete dort über 30 Berufsleute aus. Ein reges Umfeld mit stündlich wechselnder Kundschaft und immer wieder neuen Gesprächsthemen. Umso mehr erstaunt es, dass Otto Knöpfli heute auf einsamen Alpen als Hirte arbeitet. Von den rund 400 000 Schafen in der Schweiz werden gut die Hälfte auf verschiedenen Alpweiden gesömmert. Die Wertschöpfung bei der Schafhaltung ist tief, weiss Knöpfli. «Zu Unrecht», findet er, «sind doch Schafsmilch und -fleisch hochwertige Produkte.» Kann ein Hirte infolge Krankheit, Unfall oder anderen Umständen seiner Arbeit nicht mehr nachgehen, tritt schnell eine Notsituation ein. Dann bietet die Organisation Hirten Hilfe Schweiz einen Springer auf. So hat Otto Knöpfli im letzten Jahr rund neun Monate Freiwilligenarbeit geleistet und damit zum Erhalt der Natur, der Alpsömmerung und der Schafhirtenkultur beigetragen.

Vom Wolf zum Schaf

Als Coiffeur ging Otto Knöpfli frühzeitig in Pension und kümmerte sich zwei Jahre lang um seine betagte Mutter. Nach dieser Zeit sei der Drang, raus in die Natur zu gehen, schon gross gewesen, sagt er rückblickend. Den Grundstock für seine heutige Tätigkeit als Springer bei der Hirten Hilfe Schweiz legte aber seine Faszination für Wölfe. Um das Wesen und Verhalten dieser Wildtiere besser zu verstehen, wurde er Mitglied der Gruppe Wolf Schweiz. «Wölfe gehören in unsere Natur», ist er überzeugt. Dass dies einige Schafbesitzer anders sehen, versteht er. «Mit den richtigen Massnahmen zum Herdenschutz ist es jedoch möglich, dass Schafe und Wölfe im gleichen Gebiet leben. Dafür muss aber Geld in die Hand genommen werden und das Umdenken bei den Schafbesitzern erfolgt nicht von heute auf morgen.» Sein Interesse am Wolf führte Otto Knöpfli zum Thema Herdenschutz in den Alpen und zur Ausbildung zum Schafhirten. Mit dem Ziel, eine nachhaltige Bewirtschaftung der Sömmerungsweiden in den Alpen und Voralpen zu fördern, bietet die Beratungszentrale AGRIDEA in Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Schulen Plantahof und Visp eine Ausbildung zum Schafhirten an. Sie besteht aus vier Theorie-Modulen und einem Praktikum.

Personen mit Kenntnissen über Wölfe seien für diesen Lehrgang besonders gefragt gewesen, sagt Otto Knöpfli. Der Beruf Schafhirt ist für die meisten Kursteilnehmer eine Zweitausbildung, die sie im mittleren Erwerbsalter angehen. «Ich war der älteste im Kurs», lacht der heute 71-Jährige. Dass es in seinem Kurs keine gleichaltrigen Teilnehmer hatte, störte Otto Knöpfli nicht. «Es war eine lehrreiche und anregende Zeit, die ich nicht missen möchte.» Teil der Ausbildung ist auch ein Kurs mit Arbeitshunden. Auf der Alp kommen Herdenschutzhunde und Hütehunde zum Einsatz, mit denen sich der Hirte mit Worten und Gesten verständigt. Er habe keinen eigenen Hund und auch keine Schafe, sagt Knöpfli. «Springe ich für einen Hirten ein, so übernehme ich mit seiner Herde auch seine Hunde und seine Unterkunft», erklärt er. «Jeder Hund hat seinen eigenen Charakter. Am besten nimmt man sich erst zurück und lässt dem Tier Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Einmal ignorierte mich ein Hund länger als einen Tag, bevor er mich akzeptierte und begann, meine Anweisungen anzunehmen. Dann wurden wir ein gutes Team.»

Einfache Unterkünfte 

Der Komfort in den Schäferhütten ist meist bescheiden. Kontakt mit der Aus­senwelt hält Knöpfli über das Mobiltelefon – sofern es in seinen abgelegenen Arbeitsstätten überhaupt Empfang gibt. Zum Aufladen des Telefons führt er ein mobiles Solarladegerät mit, denn Strom gibt es in den Schäferhütten selten. «Das Hirtenleben ist nicht so idyllisch, wie sich das viele vorstellen», sagt Otto Knöpfli, «meist ist es harte Arbeit.» So müssen zum Beispiel Gitterzäune im Rucksack zum nächsten Einsatzort getragen werden, die schnell einmal um die 30 Kilogramm auf die Waage bringen. Im unwegsamen Gelände ist Otto Knöpfli froh, dass er sich auf seinen Hirtenstab abstützen kann. Er hat einen besonders schönen Stab, den ihm seine Familie geschenkt hat. Regelmässig muss der Hirte seine Herde beobachten, damit kranke Tiere erkannt, ausgesondert und behandelt werden können. Zeit braucht auch das Zubereiten einer warmen Mahlzeit, für die erst ein Herdfeuer entfacht werden muss. Holz hacken und aufstapeln sind Tätigkeiten, die Otto Knöpfli zwischendurch auch an die Hand nimmt, um den Brennstoffvorrat für die nächste Sömmerung wieder aufzustocken. Bleibt ihm trotz der vielen Aufgaben einmal Zeit für Mus­se, so spielt er auf seiner Mundharmonika.

Vom Wallis bis ins Südtirol

Seine Einsätze im letzten Jahr führten ihn zu einer Herde mit 170 Ziegen im Wallis und zu Schafherden im Tessiner Calancatal und sogar ins Südtirol. Auch im Calanda-Gebiet, zwischen den Kantonen Graubünden, St. Gallen und Glarus, hütete er Schafe – dort, wo ein Wolfsrudel haust. Einen Wolf in freier Wildbahn gesehen habe er trotzdem noch nie, erklärt er. In der Nähe seiner Herde seien die Wölfe aber gewesen. «Abends werden die Schafe in einen Nachtpferch getrieben, der durch eine elektrisch geladene Umzäunung gesichert und zusätzlich von den Herdenschutzhunden bewacht wird. Eines nachts bellten die Hunde aussergewöhnlich stark. Am nächsten Tag habe ich in der näheren Umgebung dann eine gerissene Gemse und Kot von Wölfen gefunden.»

Hannelore Bruderer