Freitag, 7. Oktober 2016

Kradolf. Hansruedi Lees ist Pfarrer der evangelischen Kirchgemeinden Lipperswil und Wäldi. Einen Nachmittag pro Woche amtet er als Seelsorger im Kantonalgefängnis in Frauenfeld. Am Bistro-Abend im Kirchenzentrum Steinacker erzählte er von seiner Tätigkeit.

Wenn ich den ersten Raum betreten habe, wird die Türe hinter mir verschlossen. Dasselbe geschieht bei weiteren Räumen», sagte Hansruedi Lees zu Beginn seines Vortrages im Kirchenzentrum Steinacker. Hansruedi Lees kümmert sich neben seiner Tätigkeit als Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinden Lipperswil und Wäldi um das Seelenheil der Inhaftierten im Kantonalgefängnis in Frauenfeld.

Jemanden zum Reden
Im Gegensatz zu ihm dürfen die Delinquenten das Gefängnis nach ein paar Stunden nicht wieder verlassen. «Die Untersuchungshaft ist für die Inhaftierten eine schwierige Situation. Jeglicher Kontakt nach aussen ist untersagt», sagte der Seelsorger. In dieser Zeit sind viele Personen froh über einen Besuch von Hansruedi Lees. Auch wenn nach einer halbjährigen Haftzeit der briefliche Kontakt mit der Familie versiegt und statt der Briefe oder Kinderzeichnungen Scheidungspapiere im Postfach liegen, hat Hansruedi Lees ein offenes Ohr für die Betroffenen. Die Zellen vom Kantonalgefängnis werden von Männern aus den verschiedensten Nationen bewohnt, dazu kommt noch eine kleine Frauenabteilung mit sechs Zellen. «Mit Französisch oder Englisch komme ich sehr weit. Ansonsten helfen Gefangene bei der Übersetzung», stellte Hansruedi Lees fest. Die Gespräche, die Hansruedi Lees mit den Inhaftierten führt, obliegen der Schweigepflicht. Das Amtsgeheimnis darf laut einer Klausel einzig beim Verdacht auf eine Suizidgefährdung gebrochen werden. «Isolation, Schulden oder der Verlust des normalen Lebens können Kurzschlussreaktionen verursachen. Schon oft waren Inhaftierte froh, dass sie an ihren Vorhaben gehindert wurden.»

Hoffnung für Einsichtige
Vor seinen ersten Besuchen in den Zellen hat Hansruedi Lees keine Ahnung was ihn erwartet oder weswegen die Person inhaftiert wurde. «Ein Täter hat mir den von ihm begangenen Mord im Detail geschildert, während andere ihre Tat mit einer Ausnahmesituation, mit Alkohol oder einem Blackout erklären.» Das Gehörte verarbeitet Hansruedi Lees selber. Abschliessend erklärte der Seelsorger, dass Hoffnung nur dort wachsen kann, wo der Mensch die Tat bereut und bereit ist, die Situation aufzuarbeiten.

Nicht nur Wasser und Brot
Yvonne Kohler vom Bistro-Team inte­ressierte sich dafür, wie die Mahlzeiten im Gefängnis aussehen. Der Grund für die Frage lag bei den Gedanken, die sich das Bistro-Team im Vorfeld des Anlasses gemacht hatte. Auf den festlich gedeckten Tischen stand eine aus Drahtgitter gefertigte Dekoration. Als Menü servierten sie nicht, wie einem Klischee entsprechend, Wasser und Brot, sondern eine Gulaschsuppe und Brot sowie eine Linzertorte mit Gittermuster.

Monika Wick

Stimmen aus dem Publikum

Martin Hausammann, Sulgen: «Vor Gott werden bereuende Inhaftierte frei von aller Schuld, was für das Gesetz nicht gilt.»

Hanna Rechsteiner, Kradolf: «Die Gefängnisseelsorge sieht den Menschen und nicht den Täter und bringt Hoffnung»

Joachim Nerz, Schönenberg: «Hansruedi Lees leistet einen wichtigen Dienst für die Gefängnisinsassen.» (mwg)