Freitag, 15. März 2024

Hohentannen. Am vergangenen Samstag fand die letzte Oldies Night mit DJ Jörg Buri statt – exakt 28 Jahre nach der Premiere. Die Party mit Musik aus drei Jahrzehnten lockte wiederum eine grosse Gästeschar an.

Ich gebe es ungern zu: Viele Jahre, genau genommen ein Vierteljahrhundert, machte ich am zweiten Samstag im März stets einen weiten ­Bogen um die Hirschenschür. Das Gebäude war an diesem Datum jeweils Schauplatz der über die Region hinaus bekannten Oldies Night. Diese Bezeichnung schreckte mich ab. Ein Oldie? Ich doch nicht! Dabei hätte mir schon immer klar sein müssen, dass mit diesem Begriff die Musik und nicht das Publikum gemeint ist. Doch man darf klüger werden, die Eitelkeit abstreifen und sich die Erkenntnis von Udo Jürgens zu eigen machen, der schon immer wusste, dass das Leben mit 66 Jahren anfängt und man ab diesem Zeitpunkt Spass daran haben kann. Also begebe ich mich, mit den vielzitierten 66 Jahren auf dem Buckel, nach Hohentannen. Gerade noch rechtzeitig, um mich vom Virus des «Saturday Night Fever» infizieren zu lassen, denn die Oldies Night erlebt an diesem Tag – es ist wie bei der Premiere ein 9. März – ihre 25. und letzte Auflage.

Erinnerungen werden wach

Im Obergeschoss der Hirschenschür, wo an Gemeindeversammlungen in meist nüchterner Atmosphäre die kommunalen Weichen gestellt werden, hängt eine riesige glitzernde Discokugel an der Decke. Noch bevor sich die erste Scheibe auf dem Plattenteller dreht, gebiert dieses Relikt aus einer Zeit, in der nicht alles, aber noch vieles in Ordnung schien, unweigerlich Assoziationen, die wiederum Erinnerungen aus dem Dornröschenschlaf wachküssen. Eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn treffen die ersten Gäste ein. DJ Jörg Buri, elegant gekleidet mit schwarzer Hose, schwarzem Hemd und silbern schimmerndem Gilet, begrüsst sie, nicht wenige mit herzlichen Worten und inniger Umarmung. Man kennt sich seit vielen Jahren. Auf den dekorierten, mit Namensschildern versehenen Tischen stehen Schalen mit Popcorn bereit, ein Teelicht nach dem andern tritt seinen Dienst an. Die Auswahl an Getränken ist gross. Sie reicht von den üblichen Softdrinks über Aperol Spritz und Caipirinha bis zum – Achtung! – Oldie-Drink (also doch eine Anspielung auf das Alter der Anwesenden?). Nicht Oldie-like ist die Möglichkeit, die Konsumation per TWINT zu bezahlen. Ganz alte Schule, begleiche ich meine Rechnung mit Bargeld aus dem Portemonnaie.

Offene Ohren für Wünsche

Um acht Uhr sind praktisch alle Plätze besetzt. Erster Eindruck: Als Partnerbörse wird der Anlass kaum taugen, erscheinen die meisten Gäste doch paarweise. Jörg Buri eröffnet die Oldies Night mit «Rebel Rouser», einem Hit von Duane Eddy aus dem Jahr 1958. Mit «Oh! Carol» und «Let’s Have a Party» folgen weitere Ohrwürmer. Die ersten zehn Paare wagen sich aufs Parkett, bald werden es doppelt so viele sein. Dem Tanzvergnügen frönen aber nicht alle. Eine annähernd gleich grosse Gruppe zieht es vor, still zuhörend oder leise mitsummend die Stimmung auf sich wirken zu lassen, sich mit Tischnachbarn zu unterhalten oder beim Rätseln über Musiktitel und Interpreten mitzumachen. Von der Möglichkeit, beim DJ einen Wunsch zu deponieren, mache ich gerne Gebrauch. Die zur Verfügung stehende Plattensammlung ist gross. Doch im Nu hat Jörg Buri die gesuchte Single zur Hand und der Smokie-Hit «Mexican Girl» aus dem Jahr 1978 gesteht den Tanzpaaren nach schweisstreibenden Rock-’n’-Roll-Nummern eine kurze Verschnaufpause zu. Bei «Y.M.C.A.» von Village People, einem Gassenhauer aus den Siebzigerjahren, geht zum ersten Mal so richtig die Post ab. In solchen Momenten ist es für die drei weiblichen Servicekräfte noch schwieriger, Getränke und Wienerli ohne Verluste über die Tanzfläche zu den durstigen und hungrigen Partygästen zu balancieren. 

Miteinander alt geworden

Eineinhalb Stunden sind vergangen, als Jörg Buri das Wort ergreift. Der ehemalige Gemeindeammann von Hohentannen erinnert an die Anfänge der Oldies Night, mit der eigentlich nur das Fünf-Jahr-Jubiläum des Restaurants Hirschen gefeiert werden sollte, die dann aber angesichts des grossen Erfolgs eine Wiederholung nach der andern erlebte. Buri bedankt sich für die unverbrüchliche Treue der Gäste aus nah und fern sowie beim selbstlos mitarbeitenden Team, insbesondere bei seinen Kindern Rolf, Stefanie und Manuel. Die Oldies Night sei ein «Familienbetrieb» geworden, in dem schon die dritte Generation mitwirke, sagt er mit leisem Stolz. Den Blick auf das Publikum gerichtet, stellt Buri fest: «Wir sind miteinander alt geworden. Und 25 ist doch eine gute Zahl, um aufzuhören.» Es sind gleichermassen tröstende wie wehmütige Worte. Worte, die vom Publikum mit dankendem Applaus quittiert werden. Dann gönnt sich auch der DJ einen Tanz. Zu Donovans balladeskem Opus «Atlantis» bittet er seine Partnerin aufs Parkett und geniesst für wenige Minuten jenes Glücksgefühl, das er seinen Gästen seit 1996 fast jedes Jahr beschert hat. Dem Publikum und ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen, das ist nur zwei Mal der Coronapandemie zu Beginn dieses Jahrzehnts gelungen. 

Rockiges um Mitternacht

Jörg Buris Verschnaufpause ist nur von kurzer Dauer. Er kann und will noch viele Bedürfnisse befriedigen. Über Songs aus der Flower-Power-Ära wie «San Francisco» von Scott McKenzie und «California Dreamin’» von The Mamas & The Papas führt der musikalische Weg zunächst ins Universum des deutschen Schlagers, vertreten nicht nur durch Peter Maffays «Du» und Howard Carpendales «Hello Again» (das könnte auch das Motto des Abends sein), sondern ebenso durch Evergreens wie «Marmor, Stein und Eisen bricht» und «Rote Lippen soll man küssen». Härter und lauter zur Sache geht es, als sich der Uhrzeiger der Geisterstunde nähert und der nimmermüde Discjockey legendäre Kompositionen von Queen, AC/DC und den Rolling Stones, allesamt identitätsstiftende Songs einer ganzen Generation, auflegt. Die Hirschenschür läuft Gefahr, in ihren Grundfesten erschüttert zu werden, doch sie besteht die Bewährungsprobe. Die Oldies Night 2024 dauert noch knapp zwei Stunden. 

Georg Stelzner