Freitag, 17. Januar 2020

Bürglen. 24 Personen haben sich im letzten Jahr von Celine Lochmeier bemalen und fotografieren lassen. Sie bilden den Kern ihres Stop Motion Art Projects «Facing the Sky». 

Celine Lochmeier ist eine erstaunliche junge Frau. Spricht man mit ihr oder liest man die Entstehungsgeschichte ihres Stop Motion Art Projects «Facing the Sky», spürt man: Da hat sich jemand viele Gedanken über das Sein gemacht. Aufgewachsen und zur Schule gegangen in Bürglen, eine Lehre als Polygrafin und ein Praktikum als Art Director in einer Werbeagentur sind die ersten Stationen ihres Werdegangs. «Irgendwann merkte ich, dass ich geistig und physisch mehr Raum brauchte und meine Kreativität nicht nur im Job ausleben möchte», sagt sie. Deshalb wechselte sie vor rund drei Jahren zu einer Eventbau-Firma. «Dort durfte ich richtig zupacken. Ich habe sogar die  Staplerprüfung gemacht. Abends war ich meist total müde und konnte herrlich schlafen», lacht die 23-jährige. «Meine kreative Seite konnte ich wieder für mich, frei von Kundenwünschen und Bewertungen, ausleben.» Eventbau ist ein saisonales Geschäft. Nach den arbeitsintensiven Monaten nutzte sie die arbeitsfreie Zeit von Januar bis März zum Reisen. 

Auf sich selbst vertrauen

«Ich mache das, wozu ich Lust habe und ich weiss, dass es funktioniert», sagt sie selbstbewusst. Mit dieser Zuversicht ist sie auch ihr Stop Motion Art Project «Facing the Sky» angegangen. Die Idee zu diesem Kunstprojekt sei eines Morgens beim Aufwachen im Januar letzten Jahres einfach da gewesen, sagt Celine Lochmeier. Sie hörte den Song «Familiar» der dänischen Musikerin Agnes Obel und sah dazu Farben und Formen. Die Kopplung solcher getrennter Wahrnehmungen nennt die Wissenschaft Synästhesie. «Diese Eingebung war so stark, dass ich einfach wusste, dass ich das machen muss.» Anstatt weitere Reisepläne zu schmieden, begann sie, das Projekt zu planen. «Ich suchte nach Personen, die bereit waren, mitzumachen und hoffte, das Projekt in gut zwei Wochen durchzuziehen. Wie naiv ich da doch war!», lacht sie. Denn von der Idee bis zum fertigen rund dreiminütigen Video dauerte es ein ganzes Jahr. Die Arbeit daran packte sie so sehr und war so intensiv, dass sie dafür ihre Arbeit aufgab, um sich ganz der Kunst zu widmen. 

20 000 Fotos

Im Video sind 24 Gesichter zu sehen, jedes individuell und doch bilden sie zusammen ein Ganzes. Sie schauen in den Himmel – eine Konstante, die sich wie ein Leintuch schützend über die Welt lege, für alle gleich sei und doch verschieden, wie die Künstlerin in ihrem Blog schreibt. Mit Farben malte Celine Lochmeier die 24 Stunden eines vorüberziehenden Tages auf ihre Gesichter. Für ihr Werk legte sie ein Storyboard mit 500 Seiten an und schoss mit ihrem Smartphone rund 20 000 Fotos. In ihren Skizzen hat sie jede Position jeder einzelnen Person mit einem Code versehen. Nur so war es ihr möglich, die einzelnen Bilder in die richtigen Rahmen einzupassen und zu einem komplexen und in sich stimmigen Werk zusammenzufügen. «Die Datenmenge war riesig. Mit der Technik vor fünf Jahren hätte ich das Projekt in dieser Form noch gar nicht realisieren können», erklärt sie. 

Farben selber hergestellt

Mit ihrer Lust zum Gestalten ist Celine Lochmeier beim Bemalen der Gesichter noch einen Schritt weiter gegegangen. Sie hat alle Farben aus Pigment, Gummi Arabicum und Wasser selber hergestellt. «Zum einen wollte ich meinen Modellen nichts auftragen, das die Haut reizen könnte, zum anderen macht es einfach Spass, seine eigenen Farben herzustellen. Sie sind viel intensiver und lebendiger als Fertigfarben. Mittlerweile bin ich ein richtiger Profi in der Farbherstellung», sagt sie. Rund fünf bis sieben Stunden hat sie für das Bemalen und Fotografieren eines einzelnen Gesichtes gebraucht. «Bei dieser Arbeit musste ich mich über längere Zeit voll konzentrieren, denn alles musste stimmen, und ich durfte kein einziges Bild vergessen. Da ich von Natur aus eher chaotisch veranlagt bin, war das eine grosse Herausforderung. Ich habe enorm viel dazugelernt, bin achtsamer und geduldiger geworden.» Erst nachdem sie das letzte Foto dieses riesigen Puzzles eingefügt hatte, konnte sie sicher sein, dass sie in ihrem Storyboard alles bedacht und richtig umgesetzt hatte. Ihr Video wird Celine Lochmeier am Dienstag, 21. Januar, genau ein Jahr nachdem sie die Idee dazu hatte, aufschalten. Den Link dazu gibt es auf www.facingthesky.ch. Auf dieser Webseite hat die Bürgler Künstlerin auch den ganzen Projektverlauf im Detail beschrieben. 

Hannelore Bruderer 

Ausstellungen geplant
Celine Lochmeier will ihr Video «Facing the Sky» nicht nur im Internet zeigen. Sie plant, dieses im nächsten Jahr im Rahmen von Ausstellungen in eine grössere Inszenierung einzubinden. Teile dieser Ausstellung sollen zum Beispiel ergänzende Dialoge oder die Farbenherstellung sein. Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der sie ihr Kunstprojekt durchgeführt hat, sagt sie: «Ich möchte eines Tages auch in New York ausstellen und weiss, dass das klappt.» Erste Kontakte über den grossen Teich hat sie auf jeden Fall schon einmal geknüpft. (hab)